Curriculum vitae natandi

Ich habe auf der Rethelstraße schwimmen gelernt.

Wenn sich bei diesem Satz die Mundwinkel meines Gegenübers nach oben bewegen, dann kommt er aus Düsseldorf. Oder er ist einer der Sehr wichtigen Personen, die sich im auf dieser Straße unter der Nr. 26 ansässigen VIP-Club auskennen. Aber in der Tat befindet sich unter der Adresse Rethelstraße 13 auch eine Schule, die ein Lehrschwimmbecken beherbergte. 

Und in diesem habe ich im zarten Alter von 6 Jahren schwimmen gelernt. Ein Becken von zwölfeinhalb Metern Länge, in dem man auf weißen Schaumstoffbrettern erst Bein- und dann Armzüge lernte, wurde dabei jeden Dienstag Nachmittag durchpflügt. Große Erinnerungen habe ich nicht mehr an die Zeit, doch weiß ich noch genau, wie mich der Wechsel aus der Gruppe der blutigen Anfänger zu den Fortgeschrittenen mit Stolz erfüllt hat. Ein kleiner Sprung für einen kleinen Kerl, ein großer in Richtung Erwachsenwerden. Wohlgemerkt, im Lehrschwimmbecken, nicht im Whirlpool der Escort-Damen ein paar (Haus-)Nummern weiter. 

Und nach erfolgreich absolviertem Kurs stand ich endlich auf eigenen Flossen und durfte mich jenseits der roten Leinen tummeln, die Schwimmer vom niederen Nichtschwimmvolk trennten. Die ersten Meriten habe ich mir dabei nicht etwa im Wellenbad sondern auf auf der Kettwiger Straße erworben. Die dortige Schwimmhalle trug den Begriff Halle zu recht. Es waren die Sommerferien 1969. Das Bad mit seinen Umkleidekabinen auf einer Balustrade, von der man hinunter in das Schwimmbecken schauen konnte, wirkte auf mich damals schon Jahrhunderte alt. Das Becken war zwar tief, aber der Wasserstand selbst so angelegt, dass man kaum über den Beckenrand hinaus schauen konnte. Die hohe Decke ließ das Bad wie eine Kathedrale wirken, die Ehrfurcht einflößte. 

Und hier sollte ich also 15 Minuten ohne Festhalten schwimmen, um das Freischwimmerabzeichen zu erlangen. Ein wenig schlotterten mir die Knie, als ich ins Wasser stieg. Auf den Pfiff des Bademeisters hin ging’s los. Leider verschwand das Grummeln in der Magengegend dadurch nicht. Und als ich nach 10 Minuten eine Ladung Wasser verschluckt habe, musste ich mich kurz an der Überlaufrinne festhalten. Vorsichtig nach oben schauend, sah ich den Mann in den blauen Badelatschen in die andere Richtung blicken. Also schwamm ich weiter als sei nichts gewesen und hielt bis zum Ende der viertel Stunde durch. Der anschließende Sprung vom Einmeterbrett war kein Problem. 

Trotzdem, das Abzeichen aus Stoff mit der blauen Welle, das fortan meine Badehose zieren sollte, nahm ich mit leicht schlechtem Gewissen entgegen. Ich glaube nur die Tatsache, dass ich am Tag drauf die Prüfung zum Fahrtenschwimmer (30 Minuten Schwimmen plus Sprung vom Dreier) ohne die kleinste Schummelei hinter mich brachte, hat mich zu der Überzeugung geführt, auch das erste Abzeichen irgendwie doch zurecht tragen zu können. 

Das Bad an der Kettwiger Straße habe ich nie wieder betreten. Im Nachhinein schade. Zuletzt habe ich es in einem Düsseldorfer Tatort gesehen, in dem Kommissar Flemming mit Herrn Ballauf und der kuhäugigen Miriam Koch ermittelt haben. Dann wurde es abgerissen und an gleicher Stelle das Spaßbad Düsselstrand errichtet. Nochmals schade. 

Mit dem Wegzug aus Düsseldorf ließ auch meine Schwimmtätigkeit nach. Erkrath hatte 1970 kein eigenes Schwimmbad und der Weg in die Bäder der Nachbarschaft wurde nur seltenst angetreten. Das änderte sich, als das Schulschwimmen auf den Lehrplan kam. 

Ein ganzes Jahr lang wurden zwei sechste Klassen samstags nach der zweiten Stunde per Schulbus nach Gerresheim gekarrt, um richtig schwimmen zu lernen. Richtig heißt in diesem Fall, beim Schwimmstoß Kopf nach vorne ins Wasser nehmen, dort ausatmen und erst zum Einatmen wieder nach oben kommen, wenn man die Arme nach hinten zog. 

Wehe, wer das nicht fertigbrachte. Der kam direkt in Leistungsgruppe vier. Vier von vieren. Der Ton des Schwimmlehrers hatte dabei einen schneidigen Kasernenton. Der flößte nicht Respekt, der flößte Angst ein. Und obwohl ich immer den Kopf brav ins Wasser nahm, stellte er bei mir doch einen Fehler in der Fußstellung fest. Fußfehler bedeutet Gruppe drei. Auch nicht viel besser. Zumal die relativ klein war und man sich so nicht in der Masse verstecken konnte. 

Das Schwimmbad war zugig, das Wasser kalt, die Stimmung eisig. Kein Wunder, dass in diesem Jahr der schönste Moment des Wochenendes die Busfahrt zurück nach Hause war. Trotzdem muss es mir in der Zeit gelungen sein, den Jugendschwimmschein zu erwerben. So steht es zumindest in dem Pass, den ich noch jahrelang in irgendwelchen Dokumentenkisten von Wohnung zu Wohnung trug, ehe sich seine Spur beim vorletzten Umzug verlor. Das zugehörige Abzeichen mit den drei blauen Wellen habe ich mir auch nicht mehr auf die Badebuxe sticken lassen. 

Das Gerresheimer Schwimmbad ging traurigen Zeiten entgegen. Gegen die rückläufigen Besucherzahlen versuchte man noch durch den Anbau einer langen Röhrenrutsche, die aus der Schwimmhalle heraus führte und in mehreren kurvigen Windungen den Benutzer schließlich wieder ins Becken gleiten ließ, anzukämpfen, aber das hat den Tod des Schwimmbads nur etwas hinaus gezögert. Heute ist es abgerissen. Ich weine ihm keine Träne nach. 

Ganz hat mir das Schulschwimmen das kühle Nass aber nicht verleidet. Irgendwann bekam auch Erkrath sein Schwimmbad und damit einen Schwimmverein, in dem ich kurzerhand angemeldet wurde. Bleibend war der Eindruck vom Vereinsschwimmen allerdings nicht. Dass mir dort mein erstes Rennrad, ein teures, selbst zusammengespartes, gelbes, mit 10-Gang-Kettenschaltung, geklaut wurde, trug auch nicht zu positiven Erinnerungen bei. Dann schon eher das leckere Zigeunerschnitzel mit Pommes, das ich von meinen Eltern ab und zu in der angeschlossenen Gaststätte spendiert bekam. Aber der Knacks zum Hallenschwimmen war dadurch nicht mehr zu kitten. 

Freibäder dagegen sind nach wie vor anders. Der Bezug dazu ist schon früh hergestellt worden. Alleine in drei Kinder-Fotoalben gibt es die Rubrik: Ein Abstecher ins Strandbad nach Holland. Die Formulierung ins, bzw. in das, ließ mich lange Zeit glauben, es gäbe nur dieses eine bei unseren Nachbarn. Und das muss den leuchtenden Augen zufolge Spaß gemacht haben. 

Genau wie das Rheinstadion mit seinen vielen Becken für Schwimmer und Spaßbader. Beeindruckt hat mich dabei immer der 10-Meter-Turm. Einmal im Leben dort runter zu springen, war mein Traum. Der ist es bis heute geblieben. (Vor 4 Jahren habe ich es zumindest mal vom 7,5-Meter Brett geschafft. Das hat mich zu der Erkenntnis gebracht, dass ich den 10er in diesem Leben wohl besser nicht mehr ausprobiere.) 

Das schönste Freibad zu Jugendzeiten war jedoch der Unterbacher See. Nordstrand, versteht sich. Das hatte was von Urlaub, so über Sand ins Wasser zu kommen anstatt über sterile Kacheln. Man konnte zum sogenannten Kreuz schwimmen, einer Holzplattform, die mitten im Schwimmerbereich verankert war, und auf der man sich hätte sonnen können, wäre sie im Sommer nicht ständig überlagert gewesen. 

Dann doch lieber raus zum letzten Balken schwimmen, der den Schwimmerbereich von den Segel- und Ruderbooten trennte, und sich rittlings darauf setzen, um im jugendlich-pubertären Imponiergehabe Positionskämpfe mit den Freunden auszufechten. Alles nur, um den Mädels zu gefallen. Und als die einmal mitrangelten und sich dabei für Bruchteile einer Sekunde ein Bikinioberteil ganz unschuldig verschob, da hätte sich fast der Kreis zum Beginn der Schwimm-Karriere geschlossen. Aber nur fast. 

Peter Löhr, 2011

Der Text war bereits 2011 auf der crossmedialen Plattform OPINIO der Rheinischen Post als Teil 3 (m)einer Schwimmbad Trilogie veröffentlicht.

Teil 1: Grünstraße
Teil 2: Wasserspiele

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