Tagschicht

Ich klettere wie jeden Morgen über die Dächer der Stadt und lasse erst mal lässig die Beine vom höchsten Büroturm baumeln, bevor ich mich mutig den Autoscheinwerfern entgegen werfe.

Irgend so ein Idiot hat mal wieder die Nebellichter angelassen, obwohl ich den Dunst schon lange gelichtet habe. Nach und nach knipse ich alle Laternen aus, was angesichts der Größe dieser Stadt die reinste Akkordarbeit ist, das können Sie mir glauben!

Spaß macht das nicht.

Vor allem deshalb nicht, weil mich fast nur unausgeschlafene Menschen missmutig anstarren. Okay, es sind auch schon mal Frühsportler unterwegs, einige davon auf der Flucht vor freudig erregten Vierbeinern. Könnte natürlich auch ein Vampir dabei sein, der die letzte S-Bahn zum Friedhof verpasst hat und somit zu spät in seine Gruft kommt.
Man weiß das nie so genau.
Es sind um diese Uhrzeit nur wenige Menschen, die in den Himmel schauen und mir einen Zipfel ihres Lächelns schenken.

Im Laufe meiner Schicht heize ich den Menschen richtig ein und bringe so manches Gemüt zum Kochen. Ich flirre über den Asphalt und freue mich über die ein oder andere Pfütze, die ich ausschlürfen kann. Für das Regenmachen bin ich nämlich auch zuständig, fragen Sie mich bitte nicht warum. Das artet in reinsten Stress aus, bis ich alle Wolken ans Arbeiten bekomme. Ist mal wieder ein Warnstreik angekündigt. Aber nicht mit mir! Denen mache ich ein hübsches Gewitterchen unterm Hintern.

Es macht Spaß, die bunten Regenschirme rennen zu sehen. Die Kinder lassen keine Pfütze aus und werden dafür noch mit einem Eis vom Italiener belohnt. Aber glauben Sie mal nicht, dass mich auch nur eins von diesen Rotzlöffeln an ihren Vanillekugeln lecken lässt.
Undankbares Volk!

Zu fortgeschrittener Stunde beobachte ich die Menschen dabei, wie sie aus den Büros strömen und dabei langsam ihre Gesichter entknittern. Oft lassen sie sich in den nächsten Biergarten fallen und strecken mir ihre blasse Nase entgegen. Und tauchen ihre Lippen in köstliche Pilskrönkes. Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass ich auch davon nichts abkriege und dann macht es mir einen Heidenspaß, ihnen Mücken auf die verschwitzte Haut zu jagen. Das ist nicht nett, aber amüsant.

Glauben Sie mir, im Sommer zu arbeiten ist echte Maloche. Die Menschen wollen, dass ich rot glühend untergehe und ihnen dieses gewisse Etwas ins Gesicht zaubere, bevor mein Kumpel die Nachtschicht übernimmt.
Diesen Job möchte ich nur ein einziges mal haben.
Nur diese eine Nacht.

Der hängt sich fett in den Himmel und lässt sich permanent von irgendwelchen Sternchen zuzwinkern. Das scheint dann seine Libido derartig in Wallung zu bringen, dass er fremden Menschen in die Schlafzimmer lugt.
Alter Spanner!

Und ansonsten ist nicht viel los während seiner Schicht. Kaum Verkehr, außer eben in den besagten Schlafzimmern. Ab und zu ist da mal ein Diebstahl auszuleuchten. Oder er geleitet Besoffene auf direktem Umweg gen Heimat. Besitzt dann die Frechheit, mir diese Typen ein paar Stunden später mit einem mordsmäßigen Kater zu übergeben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Kerl macht einen schnellen Euro und ich den Dreck weg.
Scheißkerl.

Hilft ja nix.
Ich muss los.
Straßenlaternen ausknipsen.

(aka. 2008)

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4 Gedanken zu “Tagschicht

  1. Oh je … das Sönnchen hats aber auch schwer!
    Dabei hätte sie mit weniger Wolken doch schon mal das Regenproblem gelöst. Sie könnte mehr chillen … und wir bekämen sie dann auch mal zu Gesicht ;-)
    Genial … deine Geschichte.
    LG djembe

  2. Herrlisch! Hab ich gerne gelesen.

    Dat Sönnelein hat’s ja auch wirklich nicht leicht, die Arme, die. Glaube Sonne ist zur Zeit ziemlich stinkig auf uns Menschen. Macht nur Regen und zeigt sich kaum. Grummel. ..und sie tut stürmen. Sonnenstürme. Hach irgendwie mag ich dieses Wort.

    ..na mal seh’n was die Nachtschicht so bringt …
    bis denne, Hutmacher

    • Stürme mag ich auch…irgendwie. Nein, Frau Sonne hat es derzeit wirklich nicht leicht.
      Deutscher Sommer halt…seufz…

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