Ach, Reinhard …

Zu Reinhard Mey habe ich schon seit den Siebzigern eine sehr enge Beziehung. Oder besser gesagt, zu seinen Liedern, wenn man das denn in diesem Fall so scharf trennen mag. Haben mich als Teenie die witzig-ironischen Lieder in den Bann gezogen, so sprang doch schnell der Funke zu seinen Balladen, Erzählungen und den sehr eingängigen Liebesliedern über. Doch mit den Jahren stellt sich auch eine gewisse Ermüdung ein. Manches klingt thematisch und melodiös sehr nach Wiederholung, was ja verzeihlich ist. 40 Jahre durchgängig und gleichbleibend meinen Geschmacksnerv zu treffen, ist ja auch nicht so leicht. Aber dieses Sendungsbewusstsein, das zunehmend (beispielsweise beim Thema Vegetarier) aus ihm quillt, kommt bei mir häufig zu absolut an. Seit dem hadern wir öfter miteinander. Zumindest ich mit ihm.

Ich war dennoch bei (fast) jeder Tournee dabei. Der Mann, der alleine mit seiner Gitarre auf der Bühne steht, hat es dann immer wieder geschafft, mich zu fesseln. Konzertsäle wie die Düsseldorfer Tonhalle oder die Kölner Philharmonie haben durch ihr wunderbares Ambiente das Konzert  abgerundet. Und am Ende war es wie nach Hause kommen. Wir beide, er und ich, waren wieder versöhnt.

Bei der aktuellen Tournee war aber etwas anders. Reinhard Mey hat die Konzertsäle gegen große Hallen und Arenen getauscht. Das war verstörend. Klar, der Mann ist Mitte 70 und wenn man aus nachvollziehbaren Gründen statt der üblichen 60 Städte nur noch 30 Orte auf den Tournee-Plan nimmt, muss man an der Kapazität schrauben, wenn man nicht die Hälfte der Anhänger draußen lassen möchte. Aber Mitsubishi-Philipps-Halle statt Tonhalle oder Telekom-Basket-Arena statt Philharmonie, das wollte ich dann doch nicht.

Glücklicherweise stand auch Oberhausen mit dem „Theater an der Arena“ auf der Liste der Spielstätten. Das muss dieses kleine Anhängsel sein, in dem sie auch Musicals aufführen, dachte ich mir und hab flugs in der Freude, einen guten Kompromiss gefunden zu haben, Karten bestellt.

Dann kam der Abend. Wir fuhren nach Oberhausen und sahen einen Strom von Menschen in die dortige Arena ziehen. Irgendein Großereignis. Aber irgendwo dort muss auch der kleine Seiteneingang zum Theater AN DER Arena sein, in dem das feine, intime Ereignis mit Herrn Mey starten sollte. War er aber nicht. Da stand nämlich nicht Theater AN DER Arena auf der Eintrittskarte sondern IN DER. Und die gab es dann mit allem was dazu gehört. Bier, Currywurst, Fritten, Riesen-Brezeln, die nur Mini Brezeln sind, und Wein aus Plastikbechern. Auch dass man einen minutengenauen Zeitplan:

  • 20:00 Uhr Beginn
  • 21:05 Uhr Pause
  • 21:25 Uhr Beginn zweiter Teil

als Information über die Bildschirme im Wandelgang flimmern ließ, irritierte. Das passte alles nicht in mein Weltbild eines ruhigen, fast schon intimen Liedermacherabends, auf den ich mich freute. Meine Laune sank erheblich.

Immerhin war die Halle ungefähr zur Hälfte abgehängt, aber so unterm Dach ist die Bühne in der Mitte immer noch verdammt weit weg. Und angesichts der Popcorn- und Eisverkäufer zwischen den Stuhlreihen war meine Vorfreude schließlich gänzlich weg.

Dann endlich geht das Licht aus, der Protagonist kommt auf die Bühne und stimmt eines der oben angesprochenen Lieder an, mit denen ich so hadere. Eines, in dem er seine Außenseitersituation schildert, wie ihn das gestärkt hat und was für ein toller Hecht er dann geworden ist. Ach Reinhard, denke ich noch so bei mir und möchte in den Refrain einstimmen, was ist aus dir geworden.

Gerade wollte ich weitere Haare in der Suppe suchen, doch die Akustik, auf die ich mich geistig schon eingeschossen hatte, gab mir keinen Anlass dazu. Die war wider Erwarten ganz große Klasse. Trotz kleinem Mann in großer Halle. Stimme und Gitarrenspiel kamen glasklar auch bis in die hinteren Hallenwinkel.

Und auf einmal packte er mich wieder, der Meister des 4-Minuten-Dramas. Nahm mich mit in seine Geschichten und seine Gedanken und trug mich förmlich durch den Abend. Wir wanderten durch Sommerabende und durch den Mairegen, kehrten im Goldenen Hahn und bei Serafina ein, die sich nach all den Jahren als Polin denn als Russin entpuppte.

Rückblicke, Resumees und die Beschäftigung mit dem Ende, das er gerne in die Metapher von Herbst und Winter des Lebens kleidet, waren auch schon früher Teil seines Werks. Auf dieser Tournee haben sie eine neue, stärkere Gewichtung bekommen. Ein sehr melancholischer Ton schwebt über allem. Mey schafft es aber, den Abend dennoch nicht in Trauer versinken zu lassen. Das Unvermeidliche zwar anzunehmen, aber auch die guten Momente zu würdigen und das Gute, Helle und Klare nicht zu übersehen, ist die Botschaft des Abends. Die ist jetzt nicht nobelpreisträchtig und eher ein Allgemeinplatz, aber Mey macht sie greif- und nachvollziehbar. 

Und so schaffte er es in zweieinhalb Sunden meisterlich, was ich um 20:05 nicht mehr für möglich gehalten habe. Ich bin nach Hause gekommen.

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