Trivial Pursuit

Als ich geboren wurde, stand die Mauer knapp ein Jahr.

Ich hatte keine Berührungspunkte mit der DDR, keine Verwandten, keine Freunde, für mich war das einfach ein Land des Ostblocks. Drüben. So wie Ungarn, Polen oder die CSSR. Weit weg, von weit im Westen betrachtet.

In die Nähe der sog. Zonengrenze bin ich das erste Mal im Rahmen der Grundausbildung bei der Bundeswehr gekommen. „Da! So riecht das da draußen“, schrie mich ein Unteroffizier an und hielt mir eine stinkende Gas-Maske unter die Nase. „Der Feind steht nur 3 Kilometer von hier. Ab in den Schutzbunker! Marsch, Marsch!“. Alles nur Übung, aber mein Herz hat dennoch zu stark auf die Blase gedrückt. Was ein Arschloch. Zu meiner persönlichen Annäherung an drüben hat der Vorfall jedenfalls nicht beigetragen. Im Gegenteil. Den zugewiesenen Studienplatz in Berlin (West) habe ich abgelehnt. Nach 15 Monaten Bund noch ne Mauer für die nächsten x Semester? Nein, Danke.

Mein persönliches Tauwetter setzte mit dem ersten Berlin-Besuch im Rahmen einer Studentensportveranstaltung statt. Crosslauf am Teufelsberg. Unterkunft direkt an der Mauer. Freier Blick von der Dusche in den Ostteil der Stadt. Dieses Spannungsfeld zwischen anarchischem Kreuzberg und Patrouillen am Todesstreifen war elektrisierend. 

BronsteinSeit dem bin ich noch ein paar Mal dort gewesen. Der erste Besuch in Ostberlin war befremdlich. Es fühlte sich alles auf Distanz an. Bloß nichts falsch machen. Den Zwangsumtausch habe ich in Bücher umgesetzt. Hašeks Schwejk und Bronsteins Taschenbuch der Mathematik (interessanterweise in Frankfurt/Main verlegt). Die Faszination für Berlin und diese groteske Situation mit hüben und drüben wuchs dennoch. 

Die Nachrichten des Sommers und Herbsts 1989 habe ich verfolgt wie andere Nachrichten auch. Ich hatte gerade einen Job angetreten und lernte mit mehreren Kollegen Programmieren im badischen Walldorf. Wir hatten uns abends zum Spielen verabredet. Trivial Pursuit. Der Hotelfernseher lief. Ob es tatsächlich die gelbe Frage (Kategorie Geschichte) nach dem Jahr des Mauerbaus war, als Hans-Joachim Friederichs die Nachricht von deren Fall bekanntgab, weiß ich nicht mehr. Hätte aber gut gepasst. Die Welt war plötzlich ein Stückchen besser

In den folgenden Jahren lernte ich teils berufsbedingt, teils im privaten Umfeld den ein oder die andere Ossi kennen. Menschen wie du und ich. Aber Menschen mit eigenen Geschichten. Das hat bereichert. Nicht, wegen der vermeintlichen Exotik, von „drüben“ zu sein, sondern weil sie eben als Menschen mit ihren Geschichten bereichernd sind. Völlig unabhängig von der Herkunft. Und die möchte ich nicht mehr missen.

Für Sybille und vor allem den Mann auf dem Fahrrad hinter dem Pappschild vor Kollers Kahn.

Trvial Pursuit
Geschichtsfrage
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