Revolte bei Scholte

Im Prinzip war es ein Montagmorgen wie jeder andere auch.

Scholte kam rein und wir spürten seine miese Stimmung schon mit seinem ersten Schritt Richtung Lichtschalter. Das grelle Neongefackel ging an, Scholte knallte das Fenster zu, um es dann sperrangelweit zu öffnen, schmiss sich mit seinen einhundert Kilo Lebendgewicht auf den ächzenden Schreibtischstuhl, betätigte den On-Schalter des PC´s und wir zitterten schon seinem ersten Gehacke entgegen.

Naturgemäß traf es immer Frollein Steuerung, sowie die Herren Alt und Entfernen zuerst, bevor wir anderen auch dran glauben mussten.

Dass heute, an diesem Wintermorgen alles ganz anders war und im Verlauf des Tages noch schlimmer kommen würde, konnte dieser Griesgram von Scholte in dem Moment noch nicht wissen. Dieser Blödmann ließ auch in den kältesten Wochen des Jahres das Fenster immer in Kippstellung offen stehen. Und die Heizung machte er sowieso nie an, denn sein Übergewicht sorgte dafür, dass er ständig schweißgebadet war, auch ohne sich großartig zu bewegen. Seine Finger klebten immer vor kaltem Schweiß und es war einfach nur eklig, von ihm berührt zu werden. Wobei: berühren konnte man das nicht wirklich nennen, was er mit uns trieb. Er hackte wie ein Geisteskranker auf uns rum und wir sehnten uns Jahr für Jahr den vierwöchigen Sommerurlaub von Scholte herbei.

An diesem letzten Wochenende froren wir so erbärmlich, dass wir uns näher zusammen kuschelten, um uns gegenseitig zu wärmen. Und so kamen wir dann auch endlich mal ins Gespräch. Normalerweise schwiegen wir uns in beharrlicher Art und Weise an und ertrugen unser Schicksal so gut es ging. Jede Einzelne für sich.

Und in jener klirrend kalten Sonntagnacht änderte sich plötzlich alles. Frau Escape sprach über ihre großen Verlassensängste und den gleichzeitigen Überdruss, den sie tagtäglich empfand. Ja, man konnte nahezu meinen, dass es nicht mehr allzu lange gedauert hätte, bis ihr Tränenfluss unsere gesamte Funktionsfähigkeit wässern würde. Aber weit gefehlt! Mit einem rasanten Sprung landete sie auf Scholtes Schreibtisch, nahm ihre Federbeine in die Hand, brüllte uns „macht´s gut Kumpels!!“ zu und entschwand durch das auf Kippe stehende Fenster.

Eine Riesendiskussion brach los!

„Was machen wir denn jetzt?“ kam mit weinerlichem Stimmchen von Frau Sternenwelle. Die war aber auch immer jammerig drauf, die Frau! Euro-Bert brüllte „Jetzt hör endlich das Flennen auf, wir kaufen `ne neue Escape-Tusse ein und gut ist!“ „Contenance, Berti, Contenance, ich kann diesen rüpelhaften Umgangston einfach nicht vertragen!“ kam es näselnd von Frau Pause aus der oberen rechten Ecke.
„Schnauze!“ brüllte Berti zurück.

Die Pfeiltasten stoben in alle Richtungen davon und versteckten sich hinter dem Drucker.
Elende Feiglinge!

Dieser Drickes Detlef Drei wollte gerade wieder anfangen Paragraphen zu reiten als dieser Lump von Shift anfing zu stöhnen und zu keuchen. Der Kerl hatte tatsächlich schon wieder einen Ständer und ließ wie immer alle dran teilhaben. Diesen Hang zum Exhibitionismus fand ich persönlich schon immer nervig, denn ich sah seine Megalatte leider immer in nächster Nähe, wenn es ihn schon mal überkam. Und es überkam ihn oft!

„Hör auf an dir rumzufummeln und denk endlich mal nach!“ brüllte Eddie At „deine Sexgier geht mir schon lange mächtig auf den Sack!“

„Contenance…“ erschallte es mal wieder von oben rechts.

„Wenn ich auch mal was dazu beisteuern dürfte…“ wisperte der blasse W-illi „wie ihr seht, hat dieser Scholte es auf mich besonders abgesehen, alles an und in mir tut nur noch weh, ich bin farblos und fühle mich so kaputt. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe große Lust, mich auch aus diesem Fenster zu stürzen und dann in einem schönen warmen Land neu anzufangen, bei irgendeiner sanftmütigen Brasilianerin zum Beispiel…hach das wäre doch was.“

„Super Idee!“ meinte N-orbert „ aber eine Brasilianerin ist mir persönlich zu feurig, außerdem habe ich keinen Bock auf eine neue Sprache und auf Hitze, ich gehe nach Ostfriesland, die reden nicht viel und schreiben tun die auch nicht viel mehr.“

So ging es munter weiter und ich hörte gelassen zu. P-aul wollte nach Australien, F-ritz zum Angeln nach Norwegen und L-iliane wollte sich in New York einen Millionär angeln. Mit meinen Ohren machte ich eine schöne Weltreise und fühlte mich innerlich dabei nach wie vor ganz leer. Und letztendlich brachten uns diese ganzen Spinnereien nicht einen Schritt weiter weg von Scholte.

Irgendwann schlief die ganze Nachbarschaft friedlich ein und ich genoss diese Stille.

Bis Scholte dann schnaufend auf seinem Stuhl landete und mich mit der kaum zu ertragenden Nähe seines dicken Bauches aus meinen Gedanken riss.

Und da stand dann mein Entschluss glasklar fest: ich würde nicht reisen, ich würde auch nicht neu anfangen, ich würde Scholte jetzt einfach einen rechten Aufwärtshaken versetzen und mich dann in die nächste Kneipe setzen, um mich gnadenlos voll laufen zu lassen.

Und meine Nachbarn? Waren mir jetzt einfach mal sowas von herzlich egal. Schuft Shift sollte ruhig weiter mit einer Permanentlatte durch die Gegend laufen und Sternchen konnte jammern so viel wie sie wollte!

Nach meinem Kneipenbesuch würde ich neu überlegen, was zu tun und was zu lassen war.
Aber eins war ganz sicher: sie waren endgültig vorbei, diese leeren Zeiten!
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Und falls einer von Ihnen Frau Escape mal treffen sollte: grüßen Sie die Dame bitte ganz herzlich von mir!
Ihr Mut tat mir gut!
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gez.: Lea Leertaste
;-))

(aka. 11.07.12)
gewidmet S.K.

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4 Gedanken zu “Revolte bei Scholte

  1. Also meine Escape ist weiß wie das Unterhemd von Bankern. Oder halt, doch eher grau und öfter auch bekleckert, schmierig. Am wenigsten aber kann ich die Tasten da unten neben der „Bauchtaste“ leiden, die da heißen „ALT“.
    Gruß von Fichtezettel, 2xgefaltet.

  2. Vielen Dank euch beiden! :-)) Ich denke, man hätte noch viel mehr aus so einer Tastatur rausholen können…aber dann wäre es auch zu langatmig geworden.
    Aber vielleicht beflügelt es euch ja zu neuen Phantasiereisen…bin schon sehr gespannt!
    :-))

  3. Also da muss man erstmal drauf kommen … lebendige Tasten erlebt man nicht alle Tage ,-0
    Klasse … deine Geschichte … hab ich echt gerne gelesen!

    Lieben Gruß djembe

  4. Hach, also Frau Flaschengeist,

    das hab ich jetzt mal wieder sehr, sehr gerne von Dir gelesen und mich dabei so was von verschmunzelt, das glaubst Du nicht. Einfach Klasse!

    … Weißt du, also, ich hab mal so ne schwarze Escape Taste von ner total alten Tastatur gefunden und die dann echt lange in meiner Hosentasche mit rumgetragen. Das hat mich irgendwie ruhiger werden lassen sonne Escape Taste in der Hosentasche.

    Ich hatte auch eine „Break“ und eine „Repeat“ Taste. Also was man alles mit diesen Wörtern anfangen kann!
    Repeat-Break-Escape, Escape-Break-Repeat, Break-Escape-Repeat, Break-Repeat-Escape …
    Jede Permutation dieser Tasten lässt eine andere Geschichte erahnen.

    Hab eben nach den alten Tastaturknöppen von damals gesucht. Hab auch eine gefunden. Dachte zuerst es wäre Frau Escape … weit gefehlt, das war „Delete“ die Terminatorin. Dachte ich hätte die schon längst total erbost einem Feind vor die Füße geworfen …

    Ähm … du siehst, deine Geschichte wirkt sehr kreativierend auf mich. Danke Dir dafür.

    Liebe Grüße vom Hutmacher

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