Nachtschwimmen

 

 

Die Hitze dieser ersten schwülwarmen Sommernacht trieb sie aus dem Bett.

Ihr Shirt klebte unangenehm saugend an ihrem Körper, doch es kümmerte sie nicht. Der kleine Balkon, den sie so liebevoll gestaltet hatte, nahm sie in seine freundlichen Arme und lud sie zum Verweilen ein. Aus der Ferne vernahm sie bereits das dumpfe Grollen eines herannahenden Gewitters. Die Farbe der Nacht war gelb. Ein fader Himmel, der sich an sich selbst erhitzte. Auch dieses Gewitter würde keine Abkühlung bringen, das stand schon fest, bevor der erste Tropfen überhaupt fiel.

Sie mochte es, den Wetterleuchten dabei zuzuschauen, wie sie sich verschwenderisch gen Boden stürzten und dabei das Gelb in ein Blau verwandelten. Ein Naturschauspiel der besonderen Art.

 

Vorsichtig beugte sie sich über die Balkonbrüstung, um den ersten Regentropfen einzufangen. Er fühlte sich warm an in der verschwitzten Innenfläche ihrer Hand.

 

Die Tür schnappte hinter ihr ins Schloss und plötzlich befand sie sich in dem kleinen Garten, der zu ihrem Mietshaus gehörte. Langsam rannen die Tropfen an ihrem Körper herab und jetzt wurde ihr Schlafshirt so richtig nass. Ganz keck drückten sich die Spitzen ihrer Brüste diesem herrlichen Nass entgegen. Fast kam es ihr wie eine Liebkosung vor. Der Regen war ihr heimlicher Liebhaber und sie für eine Weile die Prinzessin der Nacht.

 

Sie drehte sich und tanzte zu einer Melodie, die nur sie hören konnte.

Regenmelodie.

Klangvolles Dahinschmelzen.

 

Sie setzte sich ins Gras, zog das Shirt über den Kopf und ließ sich langsam auf den feuchten Boden sinken.

Sie verliebte sich in diesen Moment, das Grollen und Zischen ringsum befeuerte sie in diesem Anflug von Freiheit und Freude.

 

Langsam strichen ihre Fingerspitzen über ihren Körper. Irgendwie fühlte sich alles so anders, so neu an. Nur von diesem Sommerregen konnte sich doch unmöglich ihre Körperwahrnehmung so verändern. Doch so war es. Alles an ihr war weicher, fraulicher, begehrenswerter.

 

Eine Sommernachtsliebe.

Nur mit sich und für sich ganz allein.

 

 

Dass sie die ganze Zeit der Nachbar von gegenüber beobachtete, konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Sie ging in sich selbst auf, liebte sich auf ihre Art und kundschaftete jede noch so kleine Hautfalte aus.

 

Als der Regen ihren Durst annähernd gestillt hatte, machte sie sich auf den Weg zurück in ihre Wohnung.

Entsetzt stellte sie fest, dass sie bei diesem Anfall von Spontanität ihren Schlüssel in der Wohnung vergessen hatte. Was nun? Sie konnte unmöglich in diesem Aufzug im Treppenhaus bleiben oder bei ihrer schon sehr betagten Nachbarin schellen. Doch irgendwie musste sie zurück in die Wohnung und zwar am besten, ohne den Schlüsseldienst zu bestellen. Sicher hatten die Männer, die bei so einem Notfalldienst arbeiteten schon so einiges gesehen. Aber auf die spöttischen oder sogar gierigen Blicke eines Monteurs bei Nacht hatte sie nun wirklich keine Lust.

 

Etwas entmutigt schlich sie zurück in den Garten. Jetzt war sowieso schon alles egal, also konnte sie auch weiter mit dem Regen tanzen. Sie streckte ihr Gesicht gen Himmel, breitete die Arme aus und schrie ein lachendes „na und?“ in die Nacht. Als ihr Blick sich wieder senkte, sah sie ihn gegenüber auf dem Balkon stehen und still und vergnüglich vor sich hin lächeln. Instinktiv kreuzte sie die Arme vor ihren Brüsten und stieß ein innerliches „oh mein Gott!“ aus. Ihr Blick verfing sich mit dem des Mannes, der nur in Shorts und mit durchaus ansehnlichem Oberkörper an seiner Balkonbrüstung lehnte.

 

„Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“

Eine sehr dunkle und sehr angenehme Stimme schlich sich auf leisen Sohlen in ihr Ohr.

 

„Ich habe meine Schlüssel in der Wohnung vergessen und jetzt sitze ich hier wie eine nasse Katze. Aber das sehen Sie ja bereits“ antwortete sie mit etwas schnippischer Stimme.

 

„Kommen Sie doch zu mir hoch, ich leihe Ihnen ein trockenes T-Shirt und dann können Sie den Schlüsseldienst anrufen.“

 

War das jetzt eine gefährliche Situation oder war das einfach nur freundlich, was ihr Nachbar da vorschlug? Und überhaupt: warum hatte sie diesen Mann noch nie vorher gesehen?

 

„Ich kenne Sie ja gar nicht und ob ich die Wohnung eines Fremden betreten soll…ich weiß nicht….“

 

Kaum hatte sie das ausgesprochen, da bohrte sich bereits die Frage in ihr Gehirn, ob sie mitten in der Nacht wirklich eine andere Wahl hatte.

 

„Ich wohne erst seit einer Woche hier. Es würde mich freuen, wenn ich einer nassen Katze dazu verhelfen könnte, wieder ans trockene Ufer zu gelangen.“

 

Charme hatte er, das war trotz ihrer gerade geführten Diskussion mit sich selbst nicht abzustreiten.

 

„Okay. Danke. Ich komme dann mal kurz rüber.“

 

War das wirklich sie? Das konnte doch unmöglich ihr Ernst sein, halb bekleidet in die Wohnung eines Fremden zu gehen! Aber irgendwas an ihm wirkte durchaus vertrauenswürdig. Und reizvoll.

 

Als er ihr die Tür öffnete, sah sie wunderschöne blaue Augen mit vielen, vielen Lachfältchen drum herum. Warum sie ausgerechnet in diesem Moment an das alte Lied von Ideal denken musste und die blauen Augen, die ja so sentimental machen, konnte sie auch nicht so genau sagen. Sie vermied es, ihren Blick weiter nach unten gleiten zu lassen. Und hoffte, dass er das genauso für sich beschlossen hatte.

 

„Vielen Dank! Das ist wirklich freundlich von Ihnen so mitten in der Nacht.“

 

„Ich hole Ihnen erst mal ein trockenes Shirt und dann suchen wir die Nummer des Notdienstes raus. Das wird sicher etwas dauern, aber sie können gerne so lange hier bei mir bleiben.“

 

Zwei Minuten später versank sie in einem riesengroßen T-Shirt, das überflüssigerweise einen herben Duft verströmte. Fast etwas ohnmächtig von diesem männlichen Duft und dem dazugehörigen Träger dieses Duftes, blätterte sie zerstreut in den Seiten des Telefonbuches.

„Geben Sie mal her, ich hatte erst kürzlich das Vergnügen mit den Herren der Schlösser.“ Schnell hatte er die Nummer des Notdienstes und griff beherzt zum Telefon.

„Wie heißen Sie eigentlich? Also das muss ich ja jetzt angeben, wenn ich da anrufe.“

„Barbara Herbst. Herbst wie kurz vor Winter.“ Sie schlug sich innerlich vor die Stirn. Warum musste sie ausgerechnet jetzt ihren superdämlichen Standardspruch bringen, wenn man sie nach ihrem Namen fragte.

 

„Wie lange wird es dauern, bis Sie bei Frau Winter, ach Entschuldigung, Frau Herbst sein werden?“

Mit einem kurzen Nicken beendete er das Gespräch und sagte „Ich würde vorschlagen, ich mache uns einen guten Rotwein auf, die Nacht ist eh gelaufen und der Schlüsseldienst ist nicht vor sechs Uhr hier. Das sind dann mal locker zwei Stunden, in denen wir uns genauso gut auch unterhalten können.“

 

Pragmatisch der Mann, dachte sie. Die Zeit des Wartens konnte man sich wirklich auch mit einem netten Gespräch und einem Glas Wein verkürzen. Und außerdem gefiel er ihr. Warum also nicht?

 

Der Korken ploppte leise als sie sich zusammen auf dem Balkon niederließen und gemeinsam dem immer noch heftigen Regen zuschauten.

 

„Als sie da eben unten im Gras lagen, völlig weltvergessen, da sahen Sie einfach nur hinreißend aus.“

 

Oh nein! Er hatte offensichtlich alles gesehen. Alles! Und jetzt versuchte er, mit dieser mehr als plumpen Anmache bei ihr zu landen. Trotzdem ließ dieser Satz sie lächeln.

 

„Ähm, ja, nun, vielen Dank für das Kompliment. Mir war einfach nach ein bisschen Abkühlung zumute.“

 

„Also nach Abkühlung sah das jetzt nicht so aus.“ Wieso wurde dieser Kerl unverschämt und sah dabei auch noch so hinreißend aus und hatte dabei eine Stimme wie raue Seide? Ein verwirrendes Kribbeln stieg in ihrem Bauch auf und jetzt ließ sie doch ihren Blick über seinen nackten Oberkörper gleiten. Was sie sah, ließ ihre Fingerspitzen vibrieren. Zu gerne hätte sie ihre Finger auf die Reise geschickt, doch das würde sie sich niemals bei einem ihr völlig fremden Mann wagen. Als ihre Augen wieder zu seinen zurückkehrten, klingelte es zweimal kräftig an seiner Haustür. „Das waren doch niemals zwei Stunden“ flüsterte sie etwas enttäuscht. Laut lachend öffnete er ihr die Tür und strich ihr wie beiläufig eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Morgen Nacht im Garten? Es soll regnen. Und ich finde, das Shirt, das Sie gerade anhaben, könnte auch gerne mal nass werden.“

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6 Gedanken zu “Nachtschwimmen

  1. Vorgestern noch habe ich gedacht, es liegt am letzten Wochentag . Frau ist müde nach einer arbeitsreichen Woche.
    Aber auch heute nach einem entspannten und entspannenden Samstag lese ich auf den ersten Blick immer noch „Nacktschwimmen“. Nänänä!

  2. Es war mir eine Leselust – wie immer, wenn Frau Flaschengeist von der Muse geküsst wird.

    Schönen Urlaub.
    Idy D.

  3. Hach, Frau Flaschengeist, näh wat haben Sie dat schön geschrieben mit der Frau Herbst und dem Mann dem. So richtig errottisch frisch und feinfühlig. Also die Story tut richtig kribbeln, möchte ich sagen.
    Schapoo und so.

  4. Also romantischer gehts ja kaum … liebe Frau Flaschengeist. Den hab ich regelrecht verschlungen deinen Regentraum … aber sowatt von.

    LG djembe … würde mich auch total über eine Fortsetzung freuen ,-)

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