Verrückt

M A D

Reprise (Quasi auf Wunsch)

Ein Junge sitzt am Strand und baut eine Sandburg. Er hat rote Haare und sein grenzdebiles Grinsen trägt unverkennbar eine Zahnlücke zur Schau. Im Hintergrund sieht man bedrohlich eine Welle anrollen. Auf dem nächsten Bild hat die Welle ihr Unwesen getrieben. Der Junge ist zu einem Häufchen Sand zusammengeschmolzen während die Sandburg der Naturgewalt getrotzt hat.

Das finden Sie nicht lustig? War es aber!

Und es war mein Einstieg in MAD. Zu deutsch verrückt. Ich hatte gerade den Lenker meines Fahrrads umgerüstet und die Probefahrt mit einem Unfall beendet, in dessen Folge ich neben einer Narbe am Kinn und einer Gehirnerschütterung auch einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt davontrug. Und das zu Beginn der Sommerferien 1974. Aber es gab eine mitfühlende Mitschülerin namens Babette, die mir Mad No. 63 ans Krankenlager brachte. Und seit dem war es um mich geschehen. Also nicht (nur) wegen Babette.

 

Für nur noch 2 DM gab es ein eigentlich relativ dünnes, immerhin werbefreies Heftchen von 36 Seiten Recyclingpapier am Kiosk. Micky Maus und Asterix sahen besser aus. Aber die waren ja auch Eltern-kompatibel. MAD war anders. Nicht direkt anarchisch aber anders. Irgendwie. Jedenfalls so anders, dass die Erwachsenen nur noch mit dem Kopf schütteln konnten, wenn wir uns die Bäuche vor Lachen ob des gaballten Unfugs hielten. Aufstand light.

 

Die Ikone von MAD war Alfred E. Neumann, jener oben bereits erwähnte Rotschopf mit dem charakteristischen Zahnlückenlächeln. Er war der rote Faden, der sich über die Jahre durch die Titelbilder zog und der zu allerlei Berühmtheiten mutierte. Oder sie zu ihm. Je nach Sichtweise.

 

MAD war kein, wie oftmals zu lesen ist, Satire-Magazin. Allenfalls in Ansätzen. Es war ein Sammelsurium, das Monat für Monat einem ähnlich Muster gehorchte. Leserbriefe, die vom Chefredakteur der Deutschen Ausgabe, Herbert Feuerstein, beantwortet wurden, der Preisverleihung Alfred des Monats, einer Parodie aktueller Kinofilme oder Fernseh-Sendungen sowie verschiedener Comic-Zeichner, die ihre Protagonisten in immer wieder neuen, witzigen Situationen und Geschichten präsentierten.

 

Das klingt so nicht beeindruckend, aber wenn mal gesehen hat wie aus Paper Moon mit Ryan und Tatum O’Neal Plapper Mond wurde, hat man sich nicht mehr eingekriegt. Und wie die Waltons (Gute Nacht, John-Boy) durch den Kakao gezogen wurden, war eine Klasse für sich. Doch obwohl das deutsche MAD der Ableger einer amerikanischen Zeitschrift war, war das Heft nicht einfach nur ein übersetzter Abklatsch. So wurde Ekel Alfred beispielsweise genauso die Ehre einer MAD-Persiflage zu Teil wie Ganoven-Ede Zimmermanns XY.

 

Mad-Ideen wurden auch vertont. Das nicht gerade leicht zu verstehende Regelwerk des berühmten Schürbel-Spiels wurde von Schobert&Black in kongeniales Liedgut umgesetzt.

 

Neben George Woodbridge, der die meisten Titelgeschichten illustrierte, waren eine ganze Reihe von Zeichnern regelmäßig im Heft vertreten. Dave Berg gab dabei Monat für Monat den großen Mad-Report ab. Antonio Prohias ließ in jedem Heft Spion gegen Spion antreten, wobei politisch korrekt schwarz und weiß immer schön abwechselnd den Sieg davon trugen. Al Jaffee war der Erfinder des MAD-Faltblattes, das im englischen Fold-in hieß und damit das Fold-out des Playboy auf die Schippe nah.

 

Mein heimlicher Favorit war Sergio Aragones. Weniger wegen der Rubrik Der Schatten bringt es an den Tag als wegen der ungemein kleinen witzigen Zeichnungen, die sich meist am Rand des Heftes befanden.

 

Unbestrittetner Starzeichner war jedoch Don Martin. Seine Figuren mit den charakteristischen Nasen, Augen, Haaren und vor allem Knick-Füßen von enormer Schuhgröße bildeten das absolute Highlight in jedem Heft. Unter Überschriften wie „Letzte Woche bei Aschenbrödel“ oder „Neulich im Reisebüro“ zündeten seine Männekes ein wahres Feuerwerk an Gags und zeigten den Erwachsenen, dass das Laut-gemalte Grunz der Micky-Maus-Hefte noch lange nicht das Ende des Abendlandes markierte. LECHZ, STÖHN, SABBER und WÜRG bevölkerten von nun an die Giftschränke der Bewahrer der deutschen Sprache.

 

Dabei war Don Martins Lautmalerei wirklich genial, oder?

 

Meine Eltern fanden das nicht. Ein Poster von Alfred E. Neumann im Zimmer aufzuhängen, sein Konterfei mit der Unterschrift Ich bin verrückt – Ich lese Mad als Aufkleber auf dem Schrank anzubringen oder den MAD-Jahres-Kalender über dem Schreibtisch zu platzieren – all das erforderte Kampf und Einsatz, der aber schließlich belohnt wurde. Tschakka!

 

Und wozu das Ganze?

 

Ich gebe zu, als ich letztens eine MAD-Heft in Händen hielt, haben mir die meisten Zeichnungen nur ein müdes Lächeln entlockt. Ich wollte lauthals loslachen, doch es funktionierte nicht. Es ging mir wie mit alten Jerry Lewis oder Luis de Funes Filmen. Über die kann ich auch nicht mehr gröhlen, wie es früher der Fall war. Der Zauber ist weg, obwohl die Filme noch dieselben sind.
 

Tempus fugit.
 

MAD erschien in Deutschland seit 1967. Bereits ein Heft nach meinem Einstieg wurde mit No. 64 bereits dessen Ende verkündet. Gott sei Dank handelte es sich dabei aber nur um ein Heft, das ausnahmsweise rückwärts zu lesen war. Demzufolge prangte auf dem Titelbild das Wort ENDE.
 

Ein Brüller. Damals.
 

Genau wie mit Heft Nr. 83 der klammheimliche Wechsel des Untertitels von „Das verrückteste Magazin der Welt“ in „Das vernünftigste Magazin der Welt“.
 

MAD hat es auf insgesamt 300 Ausgaben in Deutschland gebracht, ehe sein Verleger Klaus Recht es 1995 eingestellt hat. Vorübergehend. Denn drei Jahre später hat sich der Dino-Verlag an einen Neuanfang gewagt und bringt es mittlerweile im Zweimonats-Rhythmus raus. Leider jetzt auch werbefinanziert aber im Inneren bunt, habe ich keines mehr davon gelesen. Ich werde es auch nicht tun, um das Faszinosum meiner Erinnerung nicht zu zerstören.

 

What? Me worry?
 

Howard JE. Neumann, 2011, der sich freuen würde, wenn die ganzen Links durchprobiert würden ;-)
 

Im WWW gibt jede Menge Seiten, die das Flair von MAD bewahren. Hier eine Auswahl:

u.v.a.

Bilder: Cover der Mad-Magazine (OK vom Verlag liegt vor), eigene Scans oder von mir.

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4 Gedanken zu “Verrückt

  1. Tolle Seite !!!

    Ich glaub Mad hat mein ganzes Leben beeinflusst, ich kann (fast) nichts richtig ernst nehmen.

    Über manche Gags, kann ich heute noch lachen.

    Kluge Antworten auf blöde Fragen, noch klügere Antworten auf noch blödere Fragen…….

  2. Hey, Hutmacher!

    So eine Freude!

    Spion und Spion waren vor drei Wochen jeweils auf dem Titelbild von Zeit- und SZ-Magazin, die sich wechselseitig mit dem Thema Konkurrenz beschäftigten. War auch klasse. Auch da wirken die heute noch nach.

    http://www.hdm-stuttgart.de/news/news20121219102029/Spion

    Danke für den Kommi. Und die Treue!

    Grüße and Happy New Year
    Howie

    PS: Hab die letzten Tage viel gelesen und afk gelernt (away from keyboard ;-))

  3. Lieber Howard JE. Neumann,
    werde demnächst versuchen die Links durchzuprobieren.
    War zwar kein echter Mad Fan, aber die Sachen waren teilweise echt super gut.
    Mochte ganz besonders die böser (schwarzer) und guter (weißer) Spion Geschichten.

    Hast mich schon wieder Jahrzehnte zurück in meine Vergangenheit katapultiert.
    Dank Dir dafür, Hut

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