Santa Int’l

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Nikolausauftrieb

„Hast du heute schon was vor?“

„Ja, ich muss Ana I üben“

„Ist Anna eins deine Neue und was musst du mit der üben?“

Analysis I. Und ich muss Übungsaufgaben machen, der hk korrigiert immer so streng.“

„Ach komm. Ich lasse meine Ana-organische Chemie auch sausen. Auf dem Rathausplatz ist Internationales Nikolaustreffen. Da mischen wir mit!“

„Aber ich hab‘ nichts anzuziehen!“

Dieser Satz, den auch seine Mutter immer einsetzte, wenn sie keinen Bock auf Oper hatte, war der letzte Widerstand, den er an diesem Montag, den 6. Dezember 1982, leistete.

Das zweite Internationale Nikolaustreffen im Schatten von Jan Wellem sollte es also sein. Und die Kleiderfrage wurde kurzerhand im eigenen Kleiderschrank beantwortet. Schließlich besitzt der Jungstudent eine rote Cordhose. Stiefel hatte er frisch vom Bund mitgebracht und die rote K-Way-Jacke, damals das Nonplusultra des Regenschutzes, als Wams sowie eine selbstgehäkelte Pudelmütze schienen adäquat. Kissen unters Hemd für den dicken Bauch. Fertig.

Nur mit dem Bartwuchs wird es so schnell nicht klappen. Und weiß wäre der auch nicht. Aber da hilft der Inhalt des Wattebeutels, den man kurzerhand mit einem Gummiband unter die Nase klemmen konnte. Um die Verwechselung mit dem imperialistischen Coca-Cola-Weihnachtsmann zu vermeiden, wurde dann noch aus Alufolie und Gartenharke ein Bischofsstab gefertigt. Dass der eher an Poseidon denn an Nikolaus erinnerte, störte keinen großen Geist.

So ausstaffiert zogen also zwei Studenten im ersten Semester in die große Stadt.

„Hoffentlich erkennt mich keiner.“, dachte er noch so bei sich als er fast seinen Onkel umgerannt hätte, der zufällig ebenfalls durch die Stadt eilte. Er wollte schon vor Scham im Boden versinken, aber da der Onkel zwar schimpfend, aber ohne ein Zeichen des Erkennens weiter zog, war die Tarnung wohl perfekt. Die Scheu verflog.

Also weiter zum Rathaus, ohne eine Ahnung was sie dort erwartete, was sie dort wollten und wie so ein Treffen der Nikoläuse aus aller Herrn Länder überhaupt abläuft. Doch die Unsicherheit währte nicht lange. Die Konferenz stellte sich als Zusammenrottung von Bediensteten der ortsansässigen Konsulate und Botschaften heraus. Allesamt waren sie vielfältig verkleidet und mit einem Jutesack bewaffnet, aus dem sie den kleinen Kinder am Wegesrand kleine Geschenke wie Schokoläuse und Gummibärchen reichten.

Das hatten die zwei Studenten natürlich nicht zu bieten und wurden dementsprechend mit Nichtachtung gestraft. Das sollte ihnen aber kurz darauf zum Vorteil gereichen. Herr Becker nämlich, der, der mit Vornamen Auto hieß, und damals noch in der großen Stadt erfolgreich Fahrzeuge verkaufte, hatte für den abschließenden Nikolauskorso eine stattliche Anzahl Limousinen bereitgestellt. Und es gelang den beiden tatsächlich zwischen einem mexikanischen Attaché mit roter Zipfelmütze und einem Mitra-tragenden Sekretär der französischen Botschaft in eine der bereitstehenden Karossen zu schlüpfen.

Das Erstaunen der beiden Profiläuse war so groß wie ihre aufgerissenen Augen. Aber da die Tür von außen zugeschlagen wurde, gab es kein zurück mehr. Schließlich musste der Zeitplan eingehalten werden. Und so kamen zwei Studenten bei der langsamen Fahrt durch die Altstadt in das erhabene Gefühl, huldvoll aus einer Limousine winkend, den Jubel der kleinen Kindern entgegen nehmen zu dürfen.

Trotz Schritttempos war der Korso leider viel zu schnell wieder am Ausgangspunkt. Die beiden Botschaftsnikoläuse, die sich als Nicolas(!) und Jorge entpuppten, hatten sich schnell an die ungebetene Verstärkung gewöhnt und schenkten ihnen zum Abschied noch ein kleines Auto. Ein weiterer Beweis für den Wahrheitsgehalt des berühmten Verses:

So kann man auch mit kleinen Sachen
bescheid’nen Studis Freude machen

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass man sich durch scheinbar unlösbare Kleiderfragen nicht in seiner Spontaneität einschränken lassen soll. Und ein rotes Spielzeugauto im Setzkasten der Sentimentalitäten.


© HowardJ 2009
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Fotos: eigene

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2 Gedanken zu “Santa Int’l

  1. Hach, das hast du schön beschrieben! 1982 .. das war ne schöne Zeit, damals.
    Da hab ich auch für die Ana I geübt … ne, die kam erst später, glaub das war wohl eher lineare Algebra I da musstest du zwei „Schein“-Klausuren im Semester bestehen. Die Ana I Klausur hab ich dann am Ende des Semesters, weil wegen zuviel LinAlg im Kopf, total versiebt. Erinnere mich noch an diese fiese Aufgabe in der man |x| ableitet sollte. Das war irgendwie gemein. Das regelgerechte Ableiten der Wurzel von x zum Quadrat, galt nicht als Lösung.

    Egal, Danke dir für den schönen Artikel aus der guten alten Studentenzeit,
    LieGrü und nen guten Rutsch, Hut

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